Die Forschenden sind sich einig: Digitalisierung darf nicht am Menschen vorbei entwickelt werden. Mensch und Technik müssen vielmehr »Hand in Hand« arbeiten. Foto: Patrick Pollmeier, FH Bielefeld, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Digitale Souveränität: FH Bielefeld – Menschen zum souveränen Umgang mit digitaler Technik befähigen
Bielefeld (fhb). Von der elektrischen Zahnbürste, die Bescheid gibt, wenn wir zu viel Druck ausüben, über den Rasenmähroboter im heimischen Garten bis zum privaten Facebook-Account: Es gibt kaum Lebensbereiche, die von der Digitalisierung unberührt bleiben. Aber wissen wir eigentlich, wie wir kompetent und souverän mit der Technik in unserem Alltag umgehen? Relevant sind dabei schließlich nicht nur technische Fragen – auch ethische, rechtliche und soziale Aspekte müssen mitgedacht werden.
Wie der Mensch zu mehr Eigenverantwortung ermächtigt werden kann, steht im Mittelpunkt des Projektes »Souveränität in digitalisierten Lebenswelten« (SoDiLe), ein Gemeinschaftsprojekt des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule (FH) Bielefeld und des Fachbereichs Theologie der Philipps-Universität Marburg. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Gesamtprojekt „Integrierte Forschung“ im Rahmen der Hightech-Strategie mit 2,7 Millionen Euro. Von den 360.000 Euro für das Teilprojekt SoDiLe gehen rund 200.000 Euro an die FH Bielefeld.
Digitale Souveränität gehört auf den Lehrplan
Was genau bedeutet »Souveränität« im Umgang mit einer Technik, die unsere Selbstentfaltung und Vergemeinschaftung grundlegend verändert? Die Forschenden des Projekts sind sich einig: Diese Frage kann nicht von einer Disziplin allein, sondern nur im transdisziplinären Austausch bearbeitet werden.
Entstehen soll so unter anderem ein gemeinsamer »Lehrplan« zur digitalen Souveränität, der Studierende bereits im Studium sensibilisiert. Verbundkoordinator des Projektes ist Prof. Dr. Axel Benning, Professor für Wirtschaftsrecht am Fachbereich Wirtschaft der FH Bielefeld. »Wenn beispielsweise Maschinenbaustudierende Algorithmen für eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickeln, sollten sie auch mitdenken, wie die Beschäftigten im Arbeitsalltag mit der KI zusammenarbeiten«, so Benning. »Das sollte von Beginn an bei der Entwicklung und Planung mitgedacht werden.«
Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung von Pflegerobotern. Dabei muss bereits zu Beginn geklärt werden, ob es ethisch überhaupt vertretbar ist, Menschen von Robotern pflegen zu lassen und wenn ja, welche rechtlichen und ethischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Maschine in weiten Bereichen menschliche Arbeitskraft ersetzen kann. Der Roboter »Pepper« vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik diente als Accessoire für das Fotoshooting. Doch auch wenn solche »Social Robots« wie Pepper freundlich und niedlich aussehen und mit dem Menschen sprechen können, ist es nicht wünschenswert, wenn sie uns einengen, bevormunden oder als Datenlieferanten womöglich sogar gefährden. Durch die Einbindung in Lehrveranstaltungen sollen Studierende befähigt werden, bei der Technikentwicklung nicht »am Menschen vorbei zu planen«. Durch die Einbindung in Lehrveranstaltungen sollen Studierende befähigt werden, bei der Technikentwicklung nicht »am Menschen vorbei zu planen«.
Was passiert mit dem Facebook-Account nach dem Tod?
Neue Technologien beinhalten auch stets eine Vielzahl von juristischen Problemstellungen, die bei der Entwicklung von derartigen Projekten von Anbeginn an mitgedacht werden müssen. Benning: »Zu diesen juristischen Fragestellungen gehören Aspekte des Persönlichkeits- und Datenschutzrechts wie zum Beispiel das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sowie Beachtung datenschutzrechtlicher Aspekte.«
Ein Beispiel: Dass Facebook, WhatsApp & Co. unsere Daten sammeln, wissen wir eigentlich. Doch was genau das bedeutet und was die Firmen mit den Daten machen, weiß der Großteil der Nutzerinnen und Nutzer vermutlich nicht. Und: Vieles ist auch rechtlich nicht eindeutig geklärt. Benning: »Was passiert beispielsweise mit unseren Social-Media-Accounts, wenn wir sterben? Da berühren wir auf einmal ganz spezielle juristische Bereiche wie das Erbrecht.«
Verändert Digitalisierung unser Selbstbild?
Den anthropologischen Aspekt des Projekts nehmen die Forschenden rund um Prof. Dr. Marcell Saß vom Fachbereich Theologie der Philipps-Universität Marburg in den Fokus. »Souveränität bedeutet, dass ein Mensch als Individuum im Rahmen von Mensch-Technik-Interaktionen selbst bestimmen und entscheiden können soll, wie viel von seiner Person er der Technik preisgibt«, so Saß. »Nun ist aber zu vermuten, dass neu entstehende Mensch-Technik-Interaktionen Folgen für das Menschenbild haben. Es gilt, diese sowohl aus Sicht von Individuen als auch in struktureller Technik-Perspektive zu rekonstruieren.« Gerade in digitalisierten Lebenswelten sei damit zu rechnen, dass die Möglichkeit des Einzelnen, sich souverän zu verhalten, aufgrund neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Big Data eine andere sein wird als bislang angenommen.
Eingliederung in die Hochschullehre mit »Digital Natives«
Nach der Erarbeitung der juristischen und anthropologischen Grundlagen sollen im weiteren Verlauf des Projekts unter anderem Kompetenzmodelle entwickelt und in der Hochschullehre erprobt werden. Geplant sind disziplin- und hochschulübergreifende, experimentelle Lehrveranstaltungen in den Studiengängen Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftspsychologie, Wirtschaftsinformatik, Pflege und Gesundheit, Ingenieurwissenschaften und Mathematik an der FH Bielefeld sowie in den Studiengängen Theologie und dem Lehramtsstudium und weiteren Bachelor-Studiengängen der Philipps-Universität Marburg. Die Arbeit mit den Studierenden als »Digital Natives«, also einer Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist, ist dabei zentraler Bestandteil des Projekts. In unterschiedlichen Gruppen sollen die Studierenden grundlegende Fragestellungen des Projektes SoDiLe bearbeiten, Perspektiven wechseln und eigene »blinde Flecken« identifizieren. Die dabei gewonnenen Ergebnisse zum Selbstkonzept der Digital Natives sollen in die weitere Arbeit des Gesamtkonsortiums einfließen.
SoDiLe ist ein Teilprojekt des Projekts »Integrierte Forschung« des BMBFs. In dem integrativen, inter- und transdisziplinären Projekt soll ein Konsortium aus neun Hochschulen und Instituten Forschungsansätze verschiedener Fachgebiete integrieren, Kompetenzen vermitteln und Impulse setzen.