Online stattfindende Kultur ist unbefriedigend. Für alle Beteiligten. Aber es hilft ja nichts. Aber es ist interessant: Es beweist, dass es bei Kultur meist gar nicht um die Sache an sich geht. Schlechterdings erst in zweiter Linie. Es beweist: Das Medium ist die Botschaft (besser: die Metapher). Und es beweist meine These: »Digitalisierung« ist in erster Linie die Simulation von etwas. In zweiter Linie Automatisierung. Und natürlich noch viel mehr … was hier den Rahmen sprengen würde …
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Max Oestersötebier von den »Sazerac Swingers«
Natürlich macht Kultur digital nicht so viel Spaß wie Kultur »vor Ort«. Der Event-Charakter fehlt ja. Geht mir genau so. Ich präferiere die Kombination Sessel-Schallplatte-Wein auch gegenüber einem Online-Konzert. Mal ganz davon ab, dass ich aufgrund meines Alters die Protagonisten meiner Lieblingsplatten wie Coltrane, Ellington etc. sowieso nie live gesehen habe und gar keinen »Erlebnisvergleich« habe, der mir ins Ohr flüstert, das hier sei nicht das »Wahre« und möge lieber warten, bis Konzerte wieder in Konterhäusern stattfinden und nicht digital. Ich finde jedoch trotzdem, dass wir als Gesellschaft und als Kulturfreunde derzeit den Auftrag haben, in den sauren Apfel zu beißen und digitale Angebote zu konsumieren, um dem Substanzabbau entgegenzuwirken. Eine Helene Fischer oder Metallica sind vom Namen her groß genug, um auch mal eine »kreative Pause« von zwei bis fünf Jahren zu machen ohne dass ihnen das Geld ausgeht, und ohne dass man sie vergisst. Sie würden sofort wieder eine Comback-Tour in den größten Stadien voll kriegen. Die ganzen kleineren und mittleren haben aber momentan ein Problem. Ich kenne mittlerweile so einige exzellente Berufsmusiker, die nun einen anderen Beruf gewählt haben, aus dem man nicht mehr einfach so rauskommt, wenn es »wieder los geht« (so als ob da jemand einen Startschuss abgäbe). Sie müssten dann Urlaub nehmen für ihre ersten Konzerte nach zwei, drei Jahren. Wenn deren Band noch zusammenzubringen ist, usw. Das Problem ist aber: Veranstalter buchen zumeist denjenigen, den sie in letzter Zeit mal live gesehen und für gut befunden haben. Es gibt auch ohne Corona zu wenig Spielstätten für Musik (kann es nicht für andere Künste beurteilen) im Vergleich zur Anzahl qualifizierter Musiker. Wenn man einmal raus ist aus der Schleife der andauernen Referenz und Promotion, dann dauert es gut und gerne drei, vier, fünf, machmal zwn Jahre, bis man wieder auf dem Vor-Corona-Level von Bekanntheit und Terminauslastung ist. Die vielen guten Künstler unter 30 bis 35 werden sicherlich einen zweiten Anlauf nehmen wenn sie einmal für ein paar Jahre (oder wenigstens die Dauer der Ausbildung) Lokführer waren, die vielen großartigen über-50-jährigen werden die Energie da sicherlich nicht mehr rein stecken. Das ist der schleichende Substanzverlust. Und wenn dann Leute heute sagen »ach, ich warte mit meinem Support einfach bis wieder Event ist«, der nimmt es billigend in Kauf, dass er nachher vielleicht nicht mehr die Vielfalt auf früherem Niveau zu sehen bekommt. Daher meine Empfehlung: Theater jetzt auch online besuchen (und sich dran erinnern, dass das verpasste »sehen und gesehen werden« ja auch für die anderen gilt; FOMO-Effekte fürs Ego kann man gerne ausblenden).
Marc Tecklenbord von »Wohnzimmersoul«
»Auf den Punkt gebracht: Wenn man nicht gesehen wird, wird man vergessen. Und wir wissen ja aus eigener Erfahrung, dass man nicht, ohne vorher die Ochsentour gemacht zu haben, vernünftig ausgelastet gebucht wird. Zwei bis drei Monate hätten wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht, mehr als ein Jahr Pause allerdings schon. Allerdings finde ich, dass es vielen Live-Streams besser zu Gesicht stehen würde, wenn sie produziert würden, anstatt in einer Fire-and-Forget-Mentalität rausgehauen zu werden. Letztens sah ich noch exzellente Blueskünstler in einem düsteren Stream, den ich nach vier Minuten abschalten musste, weil es einfach langweilig produziert war. Man könnte da viel bei den Amis lernen.«
Hans-Hermann Strandt von der Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz
»Es geht immer um kulturelles Erleben. Und das hat verschiedene Aspekte. Künstler brauchen das Feedback des Publikums. Das treibt an und motiviert zu Leistungen, die im Proberaum nicht erbracht werden können. Dort können die wechselseitigen Motivationsschübe nicht stattfinden. Auch innerhalb des Publikums finden solche Prozesse statt, die im digitalen Raum nicht passieren können. Und natürlich spielen Aspektes des ›dritten Ortes‹ eine wichtige Rolle: Öffentliche Orte, an denen kulturelles Erleben stattfindet, sind immer auch Orte der ungezwungenen Begegnung mit Bekannten und Freunden außerhalb von Arbeit und Privatem, aber auch mit bisher fremden Menschen, die die Freude am Erlebten (oder auch die kritische Auseinandersetzung damit) eint. Wird also Zeit, dass sich wieder was dreht. Wenn es wieder verantwortbar ist.«